Rechte und Schutz der begünstigten Behinderten
Sozial- und Behindertenpolitik
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Behindertenvertretung (Praxis)
Für den Inhalt verantwortlich:
Bernhard Hampl
Aktualisierung erforderlich!
Die Rechte und Pflichten der Behindertenvertrauensperson und ihrer Stellvertreter sind in den gesetzlichen Vorschriften nur grob angegeben. Sie sind in den § 22a Abs. 7 bis 10 und 15 festgelegt:
Abs. 7: | Die Behindertenvertrauensperson (Stellvertreter) ist berufen, die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der begünstigten Behinderten im Einvernehmen mit dem Betriebsrat wahrzunehmen. Die Behindertenvertrauensperson ist befugt, einmal jährlich eine Versammlung aller begünstigten Behinderten des Betriebes einzuberufen. Hat die Behindertenvertrauensperson einen Stellvertreter mit dieser Aufgabe betraut, so hat dieser die Einberufung vorzunehmen. | |
Abs. 8: | Die Behindertenvertrauensperson (Stellvertreter) ist insbesondere berufen, | |
a) | auf die Anwendung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes hinzuwirken und darüber zu wachen, daß die Vorschriften, die für das Arbeitsverhältnis begünstigter Behinderter gelten, eingehalten werden; | |
b) | über wahrgenommene Mängel dem Betriebsrat, dem Betriebsinhaber und erforderlichenfalls den zum Schutz der Arbeitnehmer geschaffenen Stellen Mitteilung zu machen und auf die Beseitigung dieser Mängel hinzuwirken; | |
c) | Vorschläge in Fragen der Beschäftigung, der Aus- und Weiterbildung, beruflicher und medizinischer Rehabilitationsmaßnahmen zu erstatten und auf die besonderen Bedürfnisse von behinderten Arbeitnehmern hinzuweisen; | |
d) | an allen Sitzungen des Betriebsrates und des Betriebsausschusses sowie von Ausschüssen des Betriebsrates nach § 69 Abs. 4 ArbVG mit beratender Stimme teilzunehmen, es sei denn ein Stellvertreter wurde mit der Wahrnehmung dieser Aufgabe betraut. | |
Abs. 9: | Der Betriebsinhaber ist verpflichtet, mit der Behindertenvertrauensperson (Stellvertreter) zu beraten und die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Auskünfte zu erteilen, insbesondere hat er die Behindertenvertrauensperson über substanzielle, das Arbeitsverhältnis betreffende Angelegenheiten wie Beginn, Ende und Veränderung von Arbeitsverhältnissen behinderter Arbeitnehmer, über Arbeitsunfälle sowie über Krankmeldungen von mehr als sechs Wochen pro Kalenderjahr zu informieren. | |
Abs. 10: | Auf die persönlichen
Rechte und Pflichten der Behindertenvertrauensperson
(Stellvertreter) sind die Bestimmungen des 4.
Hauptstückes des II. Teiles des
Arbeitsverfassungsgesetzes bzw. die in Ausführung
der §§ 218 bis 225 des Landarbeitsgesetzes
1984, BGBl. Nr. 287, ergangenen landesrechtlichen
Vorschriften sinngemäß anzuwenden. Anmerkung: Das 4. Hauptstückes des II. Teiles des Arbeitsverfassungsgesetzes besteht aus den §§ 115 bis 122 ArbVG und regelt die Rechtsstellung der Mitglieder des Betriebsrates. Diese Bestimmungen sind sinngemäß anzuwenden. |
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Abs. 15: | Der Behindertenvertrauensperson (Stellvertreter) sind zur ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Aufgaben Räumlichkeiten, Kanzlei- und Geschäftserfordernisse sowie sonstige Sacherfordernisse in einem der Größe des Betriebes und den Bedürfnissen der Behindertenvertrauensperson (Stellvertreter) angemessenen Ausmaß vom Betriebsinhaber unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Desgleichen hat der Betriebsinhaber unentgeltlich für die Instandhaltung der bereitgestellten Räumlichkeiten und Gegenstände zu sorgen. Die den Behindertenvertrauenspersonen (Abs. 1, 11 und 13) in Ausübung ihrer Tätigkeit erwachsenen Barauslagen sind, sofern kein Ersatz auf Grund anderer Rechtsvorschriften geleistet werden kann, aus Mitteln des Ausgleichstaxfonds zu ersetzen. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat die Barauslagen nach Maßgabe der vom Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales zu erlassenden Richtlinien zu erstatten. |
Die wesentlichste Aufgabe dabei ist die Vertretung der wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der begünstigten Behinderten des Betriebes. Sie ist im Einvernehmen mit dem Betriebsrat wahrzunehmen. Obwohl die Formulierung über das Einvernehmen mit dem Betriebsrat nicht gerade sehr klar ist, ist meines Erachtens darunter nur zu verstehen, daß die Behindertenvertretung das Einvernehmen mit dem Betriebsrat zu suchen hat, es aber nicht notwendig herstellen muß. Diese Bestimmung ist derjenigen über den Jugendvertrauensrat (§ 129 Abs. 1 ArbVG) nachgebildet, wo ebenfalls das Einvernehmen mit dem Betriebsrat verlangt wird. Zu keiner dieser beiden Bestimmungen über das Einvernehmen mit dem Betriebsrat gibt es im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) Entscheidungen der Höchstgerichte. Meinungsverschiedenheiten zwischen Betriebsrat und Behindertenvertretung liegen, wie schon mehrmals erwähnt, in der Natur von Interessensvertretungen, und eine Behindertenvertretung, die nur dann tätig werden darf, wenn es ihr der Betriebsrat erlaubt, wäre ein Widerspruch in sich und würde auch nicht den detailliert in § 22a Abs. 8 BEinstG angegebenen Aufgaben einer Behindertenvertretung entsprechen.
Einmal jährlich kann Einberufung einer Versammlung aller
begünstigten Behinderten des Betriebes einberufen werden
(§ 22a Abs. 7 BEinstG);
[diese neue Bestimmung ist mit 1.1.2011 in Kraft getreten]
Überwachung der besonderen Schutzbestimmungen für begünstigte Behinderte (§ 22a Abs. 8 lit. a BEinstG)
Sorge um die Behebung wahrgenommener Mängel und diesbezügliche Meldung an Arbeitgeber und Betriebsrat; wird der Mangel nicht behoben, Meldung an das Arbeitsinspektorat (§ 22a Abs. 8 lit. b BEinstG).
Die Sorge um Mängelbehebungen beinhaltet auch die aktive Suche nach Mängeln, die für Behinderte gefährlich werden können, etwa verstellte Fluchttüren.
Erstatten von Vorschlägen über die Beschäftigung begünstigter Behinderter und damit zusammenhängender Fragen; die Vorschläge sind in den Besprechungen mit dem Arbeitgeber und in den Betriebsratssitzungen vorzubringen (§ 22a Abs. 8 lit.c BEinstG)
Teilnahme an den Sitzungen des Betriebsrates und aller seiner
Ausschüsse (§ 22a Abs. 8 lit. d BEinstG)
[die Bestimmung über die Teilnahme an den
Ausschußsitzungen ist neu und mit 1.1.2011 in Kraft
getreten]
Regelmäßige Beratungen mit dem Arbeitgeber, hauptsächlich mit Geschäftsleitung und Personalabteilung; der Arbeitgeber ist verpflichtet, der Behindertenvertretung alle erforderlichen Ausküfte zu erteilen (§ 22a Abs. 9 BEinstG)
Das Mandat eines Behindertenvertreters ist ein Ehrenamt, das einerseits neben den Berufspflichten auszuüben ist (§ 22a Abs. 10 BEinstG in Verbindung mit § 115 Abs. 1 ArbVG), für das den Behindertenvertretern aber andererseits die erforderliche Freizeit unter Entgeltfortzahlung zu gewähren ist (§ 22a Abs. 10 BEinstG in Verbindung mit § 116 ArbVG). Zu dieser etwas widersprüchlichen Formulierung bemerkt der Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz von Cerny, Gahleitner, Kundtner, Preiss und Schneller: Die Tätigkeit, für die Freizeit zu gewähren ist, muß sowohl zu den Aufgaben der Behindertenvertretung gehören als auch die Ausübung während der Arbeitszeit erfordern (Erl. 1 zu § 116). Der Arbeitgeber muß von der Inanspruchnahme von Freizeit informiert werden. Bei regelmäßiger Inanspruchnahme empfiehlt sich eine schriftliche Vereinbarung über das Ausmaß der Freistellung. Bei kurzfristig erforderlicher Inanspruchnahme von Freizeit, etwa zum Einholen von Informationen bei einer Interessensvertretung im Fall einer Entlassung, ist eine Abmeldung beim Arbeitgeber mit der Mitteilung des Abwesenheitsgrundes erforderlich. Eine Zustimmung des Arbeitgebers muß nicht abgewartet werden (vgl. die Entscheidung des OGH vom 25.5.1995, GZ 9 ObA 72/94: Damit der Betriebsinhaber die Pflicht, dem Betriebsratsmitglied die notwendige Freizeit zu gewähren, erfüllen kann, hat es um diese anzusuchen. Dabei sind dem Betriebsinhaber wenigstens in groben Umrissen der Grund und die voraussichtliche Dauer des Arbeitsversäumnisses bekannt zu geben. Das Ansuchen besteht aus einer Abmeldung und einer Information und hat keinen Antrag zum Gegenstand. [ ... ] Eine Verpflichtung, die Genehmigung des Ansuchens abzuwarten, käme hingegen einer Antragspflicht gleich, die aber gegen das Beschränkungs- und Benachteiligungsverbot des § 115 ArbVG verstößt, weil damit die Ausübung der Betriebsratstätigkeit durch Einflußnahme des Betriebsinhabers erschwert würde.
Die Mitglieder der Behindertenvertretung (Behindertenvertrauensperson und Stellvertreter) sind bei Ausübung ihrer Tätigkeit an keinerlei Weisungen gebunden. Sie sind nur der Versammlung aller begünstigten Behinderten des Betriebes verantwortlich (§ 22a Abs. 10 BEinstG in Verbindung mit § 115 Abs. 2 ArbVG). Dieses sogenannte Prinzip des freien Mandates bezieht sich aber nur auf diejenigen Aufgaben, zu denen die Behindertenvertreter gesetzlich verpflichtet sind. Dazu bemerkt der OGH in einer Entscheidung vom 2.9.1992, GZ 9 ObA 155/92: Allein das Mitglied des Betriebsrats entscheidet darüber, wieviel Freizeit es für seine (gesetzmäßige) Betriebsratstätigkeit aufwendet; dem Betriebsinhaber kommt darauf keine Einflußnahme und insbesondere kein Recht auf eine Einschränkung der Tätigkeit auf das unbedingt Notwendige etwa zugunsten eines Betreuungsmonopols freigestellter Mitglieder des Betriebsrates zu. Dem Arbeitgeber steht ein Weisungsrecht nur zur Konkretisierung der arbeitsvertraglichen Pflichten eines Behindertenvertreters zu, nicht aber zur Konkretisierung derjenigen Täigkeiten, die ihm als Vertreter der Interessen der begünstigten Behinderten per Gesetz aufgetragen sind. Es ist zu beachten, daß Dinge, die den Betrieb nicht direkt betreffen (wie beispielsweise die Teilnahme an einer allgemeinen gehaltenen Informationsveranstaltung zu Belangen von Behinderten), nicht zu den gesetzlichen Aufgaben gehören; für derartige Aktivitäten besteht kein Freizeit- bzw. Entgeltanspruch. Vergleiche etwa die Entscheidung des OGH vom 30.9.1987, GZ 9 ObA 73/87: Dienten die strittigen Veranstaltungen weder der Beratung des Betriebsrates bei Erfüllung der ihm nach dem ArbVG übertragenen Aufgaben noch der Verankerung einer nur seinen Betrieb betreffenden Regelung im Kollektivvertrag, sondern wurden derartige Probleme nur nebenbei erörtert, reicht dies zur Begründung eines Anspruches nach § 116 ArbVG nicht aus. In der Praxis wird eine Abgrenzung von gesetzlich aufgetragenen Tätigkeiten von Tätigkeiten, die darüber hinausgehen, oft schwierig sein. Es ist auch zu beachten, daß für Schulungsveranstaltungen nicht die Freizeitgewährung nach § 116 ArbVG sondern die (zeitlich limitierte) Bildungsfreistellung nach § 118 ArbVG in Anspruch zu nehmen ist.
Die Mitglieder der Behindertenvertretung dürfen in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht beschränkt und wegen dieser nicht benachteiligt werden (§ 22a Abs. 10 BEinstG in Verbindung mit § 115 Abs. 3 ArbVG). Dieses Beschränkungsverbot soll verhindern, daß Behindertenvertreter in der Ausübung ihrer Tätigkeit eingeschränkt werden und dadurch die Vertretung der Interessen der begünstigten Behinderten erschwert oder unmöglich gemacht wird.
Unter das Beschränkungsverbot fällt auch die Unzulässigkeit jeder Versetzung von Behindertenvertretern, die der Ausübung des Mandates in irgendeiner Weise abträglich sein könnte. Dies gilt sogar noch bei der Ausgliederung von Betriebsteilen, wie der OGH in einem Erkenntnis von 23.5.1997, GZ 9 ObA 105/97t festgestellt hat: Bei einem Übergang nur eines Betriebsteiles ist einem in diesem Betriebsteil beschäftigten Betriebsratsmitglied ein Widerspruchsrecht gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber zuzubilligen.
Auch bei einer vom Arbeitgeber ausgesprochenen Entlassung gilt das Beschränkungsverbot noch, solange sie noch nicht rechtskräftig ist. Dazu hat der OGH in einem Erkenntnis vom 24.2.1993, GZ 9 ObA 14/93 festgestellt: Eine gegen nachträgliche Zustimmung ausgesprochene Entlassung ist bis dahin schwebend unwirksam und hat auch noch kein Erlöschen der Mitgliedschaft zum Betriebsrat zur Folge. Das Betriebsratsmitglied ist daher berechtigt, seinen Aufgaben nachzukommen, solange der Schwebezustand dauert.
Die Mitglieder der Behindertenvertretung sind verpflichtet, über alle in Ausübung ihres Amtes bekannt gewordenen Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, insbesondere über die ihnen als geheim bezeichneten technischen Einrichtungen, Verfahren und Eigentümlichkeiten des Betriebes Verschwiegenheit zu bewahren. Werden im Zuge der Mitwirkung in personellen Angelegenheiten Mitgliedern der Behindertenvertretung persönliche Verhältnisse oder Angelegenheiten der Arbeitnehmer bekannt, die ihrer Bedeutung oder ihrem Inhalt nach einer vertraulichen Behandlung bedürfen, so haben sie hierüber Verschwiegenheit zu bewahren (§ 22a Abs. 10 BEinstG in Verbindung mit § 115 Abs. 4 ArbVG).
Sollte sich, etwa im Laufe einer Beratung, herausstellen, daß die Einsicht in den Personalakt erforderlich ist, so ist dazu die Zustimmung des Betroffenen erforderlich.
Auf Antrag der Behindertenvertrauensperson sind in Betrieben mit mehr als 150 begünstigten Behinderten ein, in Betrieben mit mehr als 700 begünstigten Behinderten zwei, in Betrieben mit mehr als 3000 begünstigten Behinderten drei und in Betrieben mit mehr als 6000 begünstigten Behinderten alle vier Mitglieder der Behindertenvertretung unter Fortzahlung des Entgeltes von der Arbeitsleistung freizustellen (§ 22a Abs. 10 BEinstG in Verbindung mit § 117 Abs. 1 ArbVG).
Jedes Mitglied der Behindertenvertretung hat Anspruch auf
Freistellung von der Arbeitsleistung zur Teilnahme an
Schulungs- und Bildungsveranstaltungen bis zum
Höchstausmaß von drei Wochen innerhalb einer
Funktionsperiode unter Fortzahlung des Entgeltes; in
Betrieben, in denen dauernd weniger als 20 Arbeitnehmer
beschäftigt sind, hat jedes Mitglied der
Behindertenvertretung Anspruch auf eine solche Freistellung
gegen Entfall des Entgeltes (§ 22a Abs. 10 BEinstG in
Verbindung mit § 118 Abs. 1 ArbVG).
Hier ist vom Gesetzgeber nicht angegeben, ob mit der
Anzahl der Arbeitnehmer die Anzahl der
begünstigten Behinderten des Betriebes oder die
Gesamtanzahl der Beschäftigten des Betriebes gemeint
ist. Eine sinngemäße Anwendung des
Arbeitsverfassungsgesetzes müßte wohl eher von
der Anzahl der begünstigten Behinderten des Betriebes
ausgehen. Da Behindertenvertreter aber im allgemeinen
alle Mitarbeiter des Betriebes in Behindertenbelangen
beraten werden (etwa bei der Antragstellung zur Feststellung
des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit),
wäre es auch berechtigt, von der Gesamtzahl der
Beschäftigten des Betriebes auszugehen.
Die Dauer der Freistellung kann in Ausnahmefüllen bei Vorliegen eines Interesses an einer besonderen Ausbildung auf bis zu fünf Wochen ausgedehnt werden (§ 118 Abs. 2 ArbVG).
Die Behindetenvertretung hat den Betriebsinhaber mindestens vier Wochen vor Beginn des Zeitraumes, für den die Freistellung beabsichtigt ist, in Kenntnis zu setzen. Der Zeitpunkt der Freistellung ist im Einvernehmen zwischen Betriebsinhaber und Behindertenvertretung festzusetzen, wobei die Erfordernisse des Betriebes einerseits und die Interessen der Behindertenvertretung und des Behindertenvertreters andererseits zu berücksichtigen sind. Im Streitfall entscheidet das Gericht (§ 118 Abs. 4 ArbVG).
Ein Behindertenvertreter, der eine Bildungsfreistellung in Anspruch nehmen möchte, hat an die Behindertenvertretung einen schriftlichen Antrag zu stellen, aus dem Art, Gegenstand, Beginn und Dauer der Schulungs- oder Bildungsverastaltung hervorgeht. Der Antrag ist so rechtzeitig zu stellen, daß die Einhaltung der Fristen gewährleistet ist. Gleichzeitig ist dem Betriebsinhaber eine Kopie des Antrages zu übermitteln. Die Behindertenvertretung entscheidet mit einfacher Mehrheit, ob der Behindertenvertreter die angestrebte Veranstaltung besuchen soll.
Ein Mitglied der Behindertenvertretung darf bei sonstiger Rechtsunwirksamkeit nur nach vorheriger Zustimmung des Gerichts gekündigt oder entlassen werden. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung den sich aus dem Beschränkungsverbot ergebenden Schutz der Behindertenvertreter wahrzunehmen. In den Fällen der §§ 121 Z. 3 ArbVG (beharrliche Pflichtverletzung) und 122 Abs. 1 Z. 3 erster Satzteil ArbVG (Untreue), Z. 4 erster Satzteil (Geheimnisverrat) und Z. 5 ArbVG (Tätlichkeiten oder Ehrverletzungen) hat das Gericht die Klage auf Zustimmung zur Kündigung oder Entlassung eines Behindertenvertreters abzuweisen, wenn sie sich auf ein Verhalten des Behindertenverteters stützt, das von diesem in Ausübung des Mandates gesetzt wurde und unter Abwägung aller Umstände entschuldbar war (§ 22a Abs. 10 BEinstG in Verbindung mit § 120 Abs. 1 ArbVG)
Bei Behindertenvertretern ist für eine Kündigung also zunächst nicht ein Antrag beim Bundessozialamt erforderlich (wie sonst bei begünstigten Behinderten), sondern eine Klage beim Arbeits- und Sozialgericht. Erst nach nach erteilter Zustimmung der ersten Instanz kann die Kündigung oder Entlassung ausgesprochen werden. Dabei ist es nicht erforderlich, daß das Urteil bereits rechtskräftig ist. Eine Berufung hat also keine aufschiebende Wirkung. Nur in zwei Ausnahmefällen ist das nachträgliche Einholen der Zustimmung zu einer Entlassung möglich: einerseits bei der Entlassung wegen einer mit Vorsatz begangenen, mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten oder mit Bereicherungsabsicht begangenen gerichtlich strafbaren Handlung und andererseits bei bei der Entlassung auf Grund von Tätlichkeiten. Bei begünstigten Behinderten ist im Fall einer Kündigung nach dem Vorliegen des Urteiles der ersten Instanz ein Antrag beim Bundessozialamt auf Zustimmung zur Kündigung erforderlich.
Der Kündigungsschutz der Behindertenvertreter beginnt mit der Annahme der Wahl und endet drei Monate nach dem Erlöschen der Mitgliedschaft zur Behindertenvertretung bzw. bei dauernder Einstellung des Betriebes mit sofortiger Wirkung (§ 22a Abs. 10 BEinstG in Verbindung mit § 120 Abs. 3 ArbVG).
Die §§ 120 bis 122 ArbVG gelten sinngemäß auch für
1. | Ersatzmitglieder, die an der Mandatsausübung verhinderte Betriebsratsmitglieder durch mindestens zwei Wochen ununterbrochen vertreten haben, bis zum Ablauf von drei Monaten nach Beendigung dieser Tätigkeit, sofern der Betriebsinhaber vom Beginn und Ende der Vertretung ohne unnötigen Aufschub in Kenntnis gesetzt wurde; |
2. | Mitglieder von Wahlvorständen und Wahlwerber vom Zeitpunkt ihrer Bestellung bzw. Bewerbung bis zum Ablauf der Frist zur Anfechtung der Wahl. Der Schutz des Wahlwerbers beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem nach der Bestellung des Wahlvorstandes seine Absicht, auf einem Wahlvorschlag zu kandidieren, offenkundig wird. Scheint der Wahlwerber auf keinem Wahlvorschlag auf, so endet sein Kündigungs- und Entlassungsschutz bereits mit Ende der Einreichungsfrist für Wahlvorschläge. |
3. | Mitglieder eines Betriebsrates, der nach Beendigung seiner Tätigkeitsdauer die Geschäfte weiterführt (§ 61 Abs. 2 ArbVG) bis zum Ablauf von drei Monaten nach Beendigung dieser Tätigkeit. |
Der besondere Kündigungs- und Entlassungsschutz der Behindertenvertreter bzw. allgemeiner der Arbeitnehmervertreter ist keineswegs ein Selbstzweck oder eine Bevorzugung der Interessensvertreter, sondern soll sicherstellen, daß die Interessensvertretung auch tatsächlich und wirkungsvoll erfolgen kann. Da Interessenskollisionen zwischen Kapital und Arbeit in der Arbeitswelt natürlich sind, sollen die Vertreter der Arbeitnehmerinteressen vor Diskriminierungen und Vergeltungsmaßnahmen des Arbeitgebers geschützt werden. Umgekehrt ergibt sich aus dem besonderen Schutz der Interessensvertreter auch die Verpflichtung, diesen Schutz zum Wohle der von ihnen Vertretenen auch tatsächlich einzusetzen.
Das Gericht darf einer Kündigung unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des § 120 ArbVG nur zustimmen, wenn | |
1. | der Betriebsinhaber im Falle einer dauernden Einstellung oder Einschränkung des Betriebes oder der Stillegung einzelner Betriebsabteilungen den Nachweis erbringt, daß er den betroffenen Behindertenvertreter trotz deßen Verlangens an einem anderen Arbeitsplatz im Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens ohne erheblichen Schaden nicht weiterbeschäftigen kann; |
2. | der Behindertenvertreter unfähig wird, die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeit zu leisten, sofern in absehbarer Zeit eine Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit nicht zu erwarten ist und dem Betriebsinhaber die Weiterbeschäftigung oder die Erbringung einer anderen Arbeitsleistung durch den Behindertenvertreter, zu deren Verrichtung sich dieser bereit erklärt hat, nicht zugemutet werden kann; |
3. | der Behindertenvertreter die ihm auf Grund des Arbeitsverhältnisses obliegenden Pflichten beharrlich verletzt und dem Betriebsinhaber die Weiterbeschäftigung aus Gründen der Arbeitsdisziplin nicht zugemutet werden kann. |
(§ 22a Abs. 10 in Verbindung mit § 121 ArbVG) |
Die hier aufgezählten Gründe, auf Grund derer das Gericht der Kündigung eines Behindertenvertreters zustimmen darf, sind taxativ, also vollständig und abschließend aufgezählt: Eine Kündigung auf Grund anderer oder ähnlicher Gründe ist nicht zulässig.
(1) | Das Gericht darf unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des § 120 ArbVG einer Entlassung nur zustimmen, wenn der Behindertenvertreter | |
1. | absichtlich den Betriebsinhaber über Umstände, die für den Vertragsabschluß oder den Vollzug des in Aussicht genommenen Arbeitsverhältnisses wesentlich sind, in Irrtum versetzt hat; | |
2. | sich einer mit Vorsatz begangenen, mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten oder einer mit Bereicherungsvorsatz begangenen gerichtlich strafbaren Handlung schuldig machte, sofern die Verfolgung von Amts wegen oder auf Antrag des Betriebsinhabers zu erfolgen hat; | |
3. | im Dienste untreu ist oder sich in seiner Tätigkeit ohne Wissen des Betriebsinhabers von dritten Personen unberechtigt Vorteile zuwenden lässt; | |
4. | ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis verrät oder ohne Einwilligung des Betriebsinhabers ein der Verwendung im Betrieb abträgliches Nebengeschäft betreibt; | |
5. | sich Tätlichkeiten oder erhebliche Ehrverletzungen gegen den Betriebsinhaber, deßen im Betrieb tätige oder anwesende Familienangehörige oder Arbeitnehmer des Betriebes zuschulden kommen läßt, sofern durch dieses Verhalten eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen Behindertenvertreter und Betriebsinhaber nicht mehr zu erwarten ist. | |
(2) | Das Gericht darf der Entlassung nicht zustimmen, wenn nach den besonderen Umständen des Falles dem Betriebsinhaber die Weiterbeschäftigung des Behindertenvertreters zumutbar ist. | |
(3) | In den Fällen des Abs. 1 Z. 2 und 5 kann die Entlassung des Behindertenvertreters gegen nachträgliche Einholung der Zustimmung des Gerichts ausgesprochen werden. Weist das Gericht die Klage auf Zustimmung zur Entlassung ab, so ist sie rechtsunwirksam. | |
(§ 22a Abs. 10 in Verbindung mit § 121 ArbVG) |
Die praktische Umsetzung der Aufgaben einer Behindertenvertretung ist natürlich in ihrer eigenen Verantwortung gelegen und hängt von ihrer Durchsetzungsfähigkeit und von ihrem betrieblichen Umfeld ab. Wie diese Aufgaben im Detail aussehen könnten, wird im Abschnitt Behindertenvertretung (Praxis) genauer ausgeführt. Jedenfalls bleibt ihr die - keineswegs gering einzuschätzende - Aufgabe, die ihr zustehenden Rechte auch einzufordern und zu erhalten. Würden einer Behindertenvertretung systematisch ihre Rechte verweigert, würde ich ihr durchaus empfehlen, sie beim Arbeits- und Sozialgericht einzuklagen.
Zuletzt aktualisiert am 13. September 2012